Nr. 01/2000

Jura Soyfers Stücke und ihre Übersetzbarkeit

Gertrude Durusoy (Izmir)

Sechzig Jahre nach dem Tode Jura Soyfers gilt die Auseinandersetzung mit seinem Umgang mit der Sprache nicht als abgeschlossen. Das Sprachbewußtsein in bezug auf Fremdsprachen in der frühen Jugend des Dichters wurde sehr präzise von Horst Jarka folgenderweise dargestellt:

Im Hause Soyfer wird Russisch und Französisch gesprochen; Juras dritte Sprache ist aber nicht nur das Deutsch der Schule. Die Mehrsprachigkeit macht ihn hellhörig für Nuancen, gebannt hört er Karl Kraus im Konzerthaus, er liest regelmässig die "Fackel", verschlingt Nestroys Komödien, erlebt Geist und Ungeist des Dialekts in den Straßen Wiens. Die Verbindung von sprachlichem Witz und Spaß mit politischem Zweck findet er in den Programmen des Politischen Kabaretts der Sozialdemokraten.1

Wie aus dieser Feststellung hervorgeht, bedeutet die Vielsprachigkeit bei Soyfer nicht nur die Verschiedenheit der slawisch, romanisch und germanisch abstammenden Sprachen, sondern auch die Sprachen innerhalb des Deutschen überhaupt.

Neben Roman, Satiren und Briefen wollen wir uns in dieser Untersuchung vor allem den Theaterstücken Jura Soyfers zuwenden. Indem wir versuchen werden, die Originalität dieses Bühnenautors zu analysieren, wird parallel besprochen werden, ob seine Texte ohne weiteres übersetzbar sind. Dadurch daß sie schon in vierzehn Sprachen gedruckt vorliegen, scheint es ein realisierbares Unternehmen zu sein.

Eine der Charakteristiken Soyferschen Schreibens wurde von Alessandra Schininà folgenderweise erkannt:

Soyfer hat eine Literatur des "Negativen" abgelehnt und kämpfte gegen die fatalistische Resignation vieler seiner Zeitgenossen. [...] Seine Menschlichkeit, sein Sinn für Humor und Satire, seine reiche Phantasie und sein scharfer kritischer Blick halten ihn sowohl vom Dogma als auch von einer naiven Utopie fern. Auch die Ausdrucksformen des Dichters kennzeichnen die besondere Natur seines Realismus, der als phantastischer Realismus bezeichnet worden ist.2

Hier befinden sich schon viele Elemente des literarischen Schaffens von Soyfer, die auch für seine Theaterstücke gültig sind. Frau Schininà präzisiert ihre Anschauung, indem sie schreibt:

Die phantastische und märchenhafte Verkleidung der Theaterstücke und Gedichte Soyfers war nicht nur ein Mittel, um der Zensur zu entgehen, sondern sie entsprach auch dem Versuch, eine originelle poetische Ausdrucksform zu finden, die keine banale und platte Wiedergabe der Realität oder der Flucht aus ihr bedeutete.3

Ein anderes Merkmal der Stücke Jura Soyfers wurde durch Herbert Arlt hervorgehoben, als er in Riverside als "Soyfersches Motiv" die seit 1937 eintretenden "Grenzlinien" nennt: "Das ist als eine neue Entwicklung in seinem künstlerischen Schaffen anzusehen, weil zunächst die Wände, das Trennende, die Geschiedenheiten der Welten seine dramatischen Arbeiten bestimmen."4 In seinem Beitrag zeigt er auch, daß neben "Trennlinien, Wände" auch "Vorurteile, Verhaltensweisen"5 mit derselben Funktion versehen sind. Tatsächlich kann man besonders in "Weltuntergang" und in "Vineta" diese Grenzlinien zwischen zwei Weltauffassungen deutlich erkennen, indem Professor Guck vor der Kometengefahr warnt, da sie die Welt zum Untergang führt, die Erdbewohner aber auf verschiedenste Weise ihm keinen Glauben schenken wollen und bis zur letzten Minute Geschäfte machen wollen, in "Vineta" steht auch Jonny als Einzelgänger da, in einer versunkenen Stadt, wo sich die Menschen zwar bewegen aber durch das Vergessen auch ihre Persönlichkeit verloren haben, so dass Jonny der einzige ist, der bewußt leben will. Auch in "Astoria" trennt die Armut die Vagabunden von den anscheinend Reichen, bis sie durch Hupka in dasselbe Schicksal verwickelt werden.

Seinerseits bemerkt Tamas Lichtmann folgendes zu Soyfers Theaterkunst:

Da die Theaterstücke Soyfers direkt für die Kleinkunstbühne geschrieben wurden, haben sie einen eigenartigen ästhetischen Charakter, der durch eine Mischung, durch ein bewusstes "Mixen" von ästhetischen Wirkungseffekten gekennzeichnet ist.[...] Auf der Kleinkunstbühne war eine direkte und prompte Wirkung erforderlich, die Autoren verwendeten und vermischten unbekümmert Trivialität, Alltagssprache, Wortspiele und Witze, um ihre politische Meinung unangreifbar und doch eindeutig ausdrücken zu können.6

Gerade diese Alltagssprache, diese Witze und die Wortspiele werden bei der Übersetzung aus dem Wiener gefärbten Deutsch das größte Hindernis bilden, wie wir noch im Detail sehen werden.

In diesem Zusammenhang ist aber die Festellung Horst Jarkas sehr zutreffend, wenn er meint, Soyfers Stücke

[...] sind ausgezeichnetes Theater geblieben - trotz, wegen ihrer Kürze. Man sollte, was an ihnen skizzenhaft ist, nicht apologetisch als "kabarettistisch" abtun, sondern als Herausforderung inszenieren und die Vielfalt der Töne zum Klingen bringen - Satire und Trauer, Erbitterung und Hoffnung, Übermut und Tiefe, den Witz und die lyrischen Stimmungen, den Realismus und den Traum. Soyfers Stücke geben sich leicht und haben doch Gewicht.7

Betrachten wir nun Soyfers Stücke etwas näher. Wir werden nicht alle analysieren können, deshalb wollen wir uns beschränken und sein erstes längeres Stück heranziehen, das 1936 aufgeführt wurde, und zwar den "Weltuntergang"8, dessen Untertitel "Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang..." lautet. Soyfer personifiziert hier die Sonne, Saturn, Mars, Venus, den Mond und den Kometen Konrad, wobei alle ihre Funktion im Kosmos beibehalten. Die Handlung setzt mit einem Prolog im Kosmos ein, in dem die Sonne meldet, eine "ekelhafte Dissonanz" festgestellt zu haben und bei den anderen "Sternschaften" nach Rat sucht, um die geeignete Maßnahme zu treffen. Der eingeladene "Erdmond" behauptet, daß das Stören der "Sphärenharmonie" auf die Krankheit der Erde zurückzuführen sei. Er traut sich nicht, diese Krankheit beim Namen zu nennen. Nur eine Drohung liefert das Geständnis: "[...] MENSCHEN hat sie!", worauf Venus folgenderweise reagiert: "Menschen? So ein Ungeziefer kenn' ich nicht!" Nun weiß die Sonne, zu welchem Mittel sie greifen soll: "O ja. Wir müssen also die Erde von den Menschen säubern. Früher wird keine Ruh sein."9 Dem ankommenden Kometen wird der Auftrag gegeben, bei seiner Ankunft in die Nähe der Erde einen Zusammenstoß zu provozieren: "Dann tschin-bum-krach, und die Erde ist entmenscht! Verstanden?"10, meint die Sonne.

Wie in Goethes "Faust" oder Nestroys "Der böse Geist Lumpazivagabundus" wird in einer außerirdischen Sphäre, diesmal nicht über einen oder drei Menschen, sondern über die ganze Menschheit, ein Beschluß getroffen. Wiederum wie bei Goethe und Nestroy wird es im Rest des Stückes um das Erleben, das Irren, das Leben des Menschen auf Erden schlechthin gehen. Eine unsichtbare Linie trennt den Wissenschaftler Guck von der Gesellschaft, weil keiner - weder im eigenen Land noch im Ausland - seine Warnungen vor der Kometengefahr und der laut physikalischen Gesetze einzutreffenden Gefahr ernst nimmt. In den Jahren, in denen Soyfer den "Weltuntergang" verfaßt, schreibt Canetti an der "Blendung" und beschäftigt sich mit den "Befristeten", dem Stück, in dem das Verhalten der Menschen, die die Zahl ihrer vorgesehenen Lebensjahre durch ihren - als Zahl ausgedrückten - Namen kennen, analysiert und dargestellt wird, wobei die Revolte der auf Fünfzig Lebensjahre Beschränkten hervorgehoben wird.11 Auch Soyfers Personen im "Weltuntergang" werden in einem Kontext dargestellt, wo der Mensch das Überleben anstrebt, indem er bis zur letzten Minute entweder Geschäfte macht oder den Anlaß zur Modeschau verwendet usw. Das Stück schließt mit einem Epilog im Kosmos, wo die Planeten staunen, weshalb der Komet die Erde nicht zerschmettert hat. Saturn behauptet: "Er hat sich gedacht, ein Zusammenprall ist eh überflüssig: die Menschen rotten einander sowieso über kurz oder lang aus."12 Dieser Pessimismus entsprach aber nicht Soyfers Wesen, so daß er einen völlig unerwarteten Grund dem Kometen in den Mund legt: "Ich hab' sie beim Näherkommen so ein bisserl kennengelernt. [...] Und - ich hab' mich in sie verliebt."13, dem ein Song zum Wesen der Erde folgt. Horst Jarka schreibt zu diesem Stück:

Die Menschheit vor der Katastrophe - das ist die Testsituation des Stückes. Die Diagnose [...] lautet, dass diese Menschheit in Verblendung und Dummheit ihren letzten Tagen rettungslos entgegentaumelt [...] Die Gegenstimme des Wissenschaftlers verhallt in einer Wüste von Klischees - noch vor dem Ende der Welt hat ihr Untergang in der Sprache stattgefunden.14

Gerade diese Qualität der Sprache führt uns zur Untersuchung der Übersetzbarkeit des Stückes. In dieser Hinsicht müssen gewisse Elemente herangezogen werden. Das allererste, was allen Stücken Soyfers gemeinsam ist, ist die Anwesenheit lyrischer Teile, die die Hauptschwierigkeit bilden und zwar nicht weil sie lyrisch oder gereimt sind, sondern weil der Inhalt dieser Strophen manchmal so spezifisch ist, daß man Inhalt und Reim gleichzeitig nicht in einer Fremdsprache - ob nun Französisch oder Türkisch - wiedergeben kann. Um nur ein Beispiel zu nennen, wenden wir uns der vierten Strophe des Planeten-Walzers am Anfang des Stücks zu:

Vier pi quadrat mal a hoch drei
Durch u quadrat mal r hoch zwei15

Dort wo sich im Deutschen drei und zwei reimen, kann man beim besten Willen im Türkischen z.B."üç" und "iki" nicht zum Reimen bringen - angenommen der Rest des Walzers reimte sich. Der festgelegte mathematische Inhalt muß hier wortwörtlich wiedergegeben werden; hier liegt die Diskrepanz zwischen Sprache und Inhalt der Lyrik. Die zehn Verse zu je acht Füßen bzw. Silben bilden bei Jura Soyfer den geeigneten Rhythmus für die harmonische Bewegung der Planeten. In der Übersetzung muß auch eine einheitliche und konsequente Durchführung des Rhythmus spürbar werden.

Ein anderes Element, welches den Stücken Soyfers Wiener Kolorit verleiht, ist der Gebrauch der Volkssprache, wie es am deutlichsten im Refrain des Strassensängers zum Vorschein kommt:

Gehn ma halt a bisserl unter,
Mit tschin-tschin in Viererreihn,
Immer lustig, fesch und munter,
Gar so arg kann's ja net sein.
Erstens kann uns eh nix g'schehn,
Zweitens ist das Untergehen
's einzige, was der kleine Mann
Heutzutag sich leisten kann.
Drum gehn ma halt a bisserl unter,
's riskant, aber fein ! 16

Und im Chanson der Titze-Tante17:

A bisserl bitter
Und a bisserl Zucker,
Dann schluckt das Bittere
Der ärmste Schlucker.
A Tröpferl Dummheit
Und a Schipperl Lug,
A Körndl Wahrheit is
Da mehr als g'nug.
A bisserl echt und recht viel Ersatz,
Ja, das Rezept is a wahrer Schatz,
Es bleibt in den Köpfen, ob d'Welt auch verweserlt:
Es wird nix verbröserlt.

Oder noch im ganzen Gespräch zwischen dem Wachmann und Guck18, wovon hier ein großer Teil angeführt werden soll, einerseits wegen des Wortlauts und andererseits wegen der meisterhaften Satire, die daraus sprüht:

WACHMANN: He, Sie!

GUCK (schläfrig) : Lass mich, Titze-Tante, jetzt is alles egal.

WACHMANN : Hören S', wer is bei Ihna a Tant? Oder soll des a Amtsehrenbeleidigung sein?

GUCK : Mir hat geträumt, daß ein Plakat zu mir geredet hat -

WACHMANN : No, des wär no schöner, wann die Plakate reden täten. Da käm vor lauter öffentliche Ärgernis die öffentliche Sicherheit überhaupt am Hund. Was machen S' da auf der Straßen! Ham S' eine bestimmte Beschäftigung?

GUCK: Ich warte auf den Weltuntergang.

WACHMANN : Wissen S' nicht, dass die Benützung öffentlicher Institutionen als Ruhestätten ungehörig ist?

GUCK: Das sagen Sie mir? Ach was - egal.

WACHMANN : Wer san Se überhaupt? Wo ist Ihre Identitätskarte? (Leuchtet ihm ins Gesicht.) Ach so, Sie brauchen eh kane. Sie san eh identisch. Se san der Guck, net?

GUCK : Und ob! Aber das ist alles egal. Morgen nachmittags wird vielleicht ein Molekül Ihres Körpers einem meiner Moleküle im Weltraum begegnen ...

WACHMANN : Herr, das verbiet' ich mir! Ich als Amtsperson hab kane Moleküle, geschweige denn, daß ich wüßt, was des is!

GUCK : Egal - egal -

WACHMANN : Dem ist alles egal. Ein idealer Staatsbörger. Ach so, Sie meinen, weil murgen die Erde um die Erd' g'haut wern wird?

GUCK : Ja. Um 12 Uhr, Herr Inspektor. Große Geschäftssperre für den gesamten irdischen Betrieb -

WACHMANN : Segn S', I glaub net dran!

GUCK : Hab ich mir gedacht!

WACHMANN : Sö ham nix zu denken'

GUCK : Auch das weiß ich schon.

WACHMANN : Sö ham nix zu wissen!

GUCK : Auch das hab ich schon gelernt. Drum geht ja die Welt unter.

WACHMANN : I glaub net dran, sag i! Es ist noch keinerlei Dienstorder diesbezüglich ausgeb'n wor'n. Wissen S' , was Se san, Herr?

GUCK : Hoffnungslos.

WACHMANN: Sehr richtig. Verrückt, nämlich. Se g'hören nach Amerika!.

Selbstverständlich ist die Übersetzung des Textes ins Türkische realisierbar, jedoch kann man meines Erachtens nicht vollständig das Lokalkolorit als Ausdruck einer Atmosphäre wiedergeben, weil der sprachliche Rhythmus nicht folgt. Die Stimmung des Straßensängers oder der Titze-Tante und ihrer Kneipe muß aber auch in der Zielsprache zu spüren sein und der Volkston soll beibehalten werden, besonders auch beim Wachmann, wo der Kontrast zum Physiker Guck durch Soyfer pertinent dargestellt wird.

Ein anderes Element, worauf man bei der Übersetzung Soyfers Stücke achten muß, ist der Bezug zur Zeitgeschichte, weil die vielen Anspielungen des Dramatikers sonst ihren Wert verlieren. Horst Jarka charakterisiert das Theater der 30er Jahre in dieser Hinsicht wie folgt:

Es gehörte zur Eigenart des autoritären Ständestaates , daß es ihm aus Unsicherheit, Schlamperei oder Berechnung an der Konsequenz fehlte, jede Kritik zu unterdrücken. Die Intellektuellen Wiens genossen diese Kritik, im Versteckspiel mit der Zensur mit Witz und Satire serviert, in den Kleinkunsttheatern, die seit 1933 in rascher Folge entstanden, selbst Produkte der Zeit waren, die sie unter die Lupe nahmen.19

Und er fährt fort:

Daß die Wiener Kleinkunst jener Jahre politisch wurde, die Zusammenhänge zwischen Wiener Volkskomödie und Politik, zwischen Dialekt und Opposition wiederentdeckte, erklärt sich aus der spannungsgeladenen Zeit [...] Aus einem Refugium individualistischer Literaten, deren Weltanschauung, wie Alfred Polgar sagte, darin bestand, die Welt nicht anzuschauen, wurde es zu einer Sammelstelle derer, die die Welt schärfer als andere sahen. Das Individuelle wurde hier nicht gezüchtet und eifersüchtig gehortet, sondern setzte sich, wie bei Soyfer, ungewollt durch. Man nahm das Ziel der Satire ernst, nicht aber sich selbst.20

Damit ist ein Schlüsselwort für das Verständnis Soyferscher Stücke gefallen: die Satire. Genau diese Satire verlangt bei der Übersetzung eine äußerst exakte Kenntnis des historischen Zusammenhangs und den witzigen Ton bei der Formulierung in der Zielsprache. Dadurch daß sogar die deutsche Ausgabe mit Anmerkungen versehen ist, soll man keine Bedenken haben, auch den türkischen Text mit diesen Erklärungen zu versehen.

Ein anderes Element, das in Betracht gezogen werden muß, ist das Wortspiel, welches der Satire eine größere Lebhaftigkeit verleiht. Im "Weltuntergang" ist in dieser Hinsicht die Szene der "alten Jungfer" Lora mit ihrem Papagei ein sprachliches Kunststück. Bei der Übersetzung liegt die Schwierigkeit darin, die papageienhafte Wiederholung so sinnbeladen wie im Deutschen wiederzugeben. Nehmen wir einige Beispiele:

JUNGFER: [...] Und der hat mir persönlich einen Anleiheschein gezeigt, auf dem der Zinssatz 5% betrug.

PAPAGEI: Betrug! Betrug!

[...]

JUNGFER: Aber hör doch! Wir, die leblang unser Vertrauen zu den Herren bewahrt haben, müssen doch einmal den Dank erhalten!

PAPAGEI: Den Tank! Den Tank! Den Tank!

JUNGFER (zitternd) : Du glaubst doch nicht, daß ich wegen deiner zersetzenden Bemerkungen Angst krieg!

PAPAGEI: Krieg! Krieg!

JUNGFER (entsetzt) : Aber in der großen Rede hat's geheißen: "Ich bin und bleibe Optimist -"

PAPAGEI: Mist!21

Will man den Sinn übersetzen, verschwindet der Papagei-Effekt, will man diesen beibehalten geht die Satire verloren. Im Falle Optimist und Mist kann man vorschlagen, den Laut "Mist" beizubehalten in der Fremdsprache, mit der Bedingung in einer Fußnote, die semantische Konnotation von Mist zu erklären. Im Falle betrug und Betrug, Dank und Tank, krieg und Krieg muß man im Türkischen unbedingt als letztes Wort des Jungfernsatzes dasjenige einsetzen, welches in der Papageireplique wiederholbar ist, indem man versucht den Sinn so treu wie möglich zu übertragen. Dies sind nicht die einzigen Wortspiele im Stück, aber sie bieten eine der größten Schwierigkeiten durch die Papageianwesenheit. Schon der Anfang der Szene mit der "Weltuntergangsanleihe" mit 5% Zinsen zeugt von der satirischen Auffassung des Dramatikers, denn wie kann man sein erspartes Vermögen in eine Anleihe mit solch einem Namen investieren?

Meine Bemerkungen möchte ich mit einem Blick auf die Aktualität der Thematik "Jura Soyfers Theaters" bzw. des "Weltuntergangs" abschließen. Auch hier kann man der von Jarka erkannten ökologischen Dimension des Stückes zustimmen, wenn er schreibt:

Angesichts der Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit der dreißiger Jahre waren ökologische Argumente nicht zu erwarten. Doch Soyfers Krisenbewußtsein kommt dem unseren ungemein nahe. Sein "Weltuntergang", 1936 als Warnung vor dem Krieg geschrieben, ist eine Verhaltensstudie der Menschheit, die ihre eigene Vernichtung möglich gemacht hat. Die Bedrohung durch die atomare Aufrüstung, die während des Kalten Krieges Soyfers Stück so aktuell sein ließ, ist, obwohl keineswegs beseitigt, im öffentlichen Bewußtsein der Bedrohung durch die ökologische Katastrophe gewichen. Die [...] Rahmenhandlung im Kosmos [...] gewinnt eine überraschende Nuance. Der Zorn der Planeten- "Götter" wird zur "Rache" der Natur an den Menschen, die mit ihrer verantwortungslosen globalen Erwärmung die "Harmonie der Sphären" stören.22

 

ANMERKUNGEN

1 Horst Jarka: Einleitung. In: ders. (Hrsg.): Jura Soyfer. Szenen und Stücke. 2. Aufl. Wien 1993, S.7.

2 Alessandra Schininà: Der Traum als Mittelding zwischen Phantasie und Wirklichkeit: Die realistischen Märchen Jura Soyfers und die Scheinwelt der Traumfabrik Hollywood. In: Donald G.Daviau (Hrsg.): Jura Soyfer and His Time. Riverside 1995, S.67.

3 Ebd., S.67.

4 Herbert Arlt: Grenzlinien: Ein Soyfersches Motiv. In: Donald G.Daviau (Hrsg.): Jura Soyfer and His Time, a.a.O., S.6.

5 Ebd., S.6.

6 Tamas Lichtmann: Drama und Kabarett. Einige Bemerkungen zur Dramaturgie Jura Soyfers. In: Donald G.Daviau (Hrsg.): Jura Soyfer and His Time, a.a.O., S.197.

7 Horst Jarka: Einleitung.In: ders. (Hrsg.): Jura Soyfer. Szenen und Stücke, a.a.O., S.19.

8 Jura Soyfer: Weltuntergang. In: Horst Jarka (Hrsg.): Szenen und Stücke, a.a.O., S.67-100.

9 Für die letzten drei Zitate: ebd., S.71.

10 Ebd., S.72.
11 Vgl. Gertrude Durusoy: Canetti und Die Befristeten. In: Ege Bati Dilleri ve Edebiyati Dergisi, Sondernummer Oesterreichische Literatur.Izmir, 1989.

12 Jura Soyfer: Weltuntergang. In: Horst Jarka (Hrsg.): Szenen und Stücke, a.a.O., S.99.

13 Ebd., S.99.

14 Horst Jarka: Einleitung.In: ders. (Hrsg.): Jura Soyfer. Szenen und Stücke, a.a.O., S.11.

15 Jura Soyfer: Weltuntergang. In: Horst Jarka (Hrsg.): Szenen und Stücke, a.a.O., S.68.

16 Ebd., S.88.

17 Ebd., S.92-93.

18 Ebd., S.93.

19 Horst Jarka: Einleitung.In: ders. (Hrsg.): Jura Soyfer. Szenen und Stücke, a.a.O., S.9.

20 Ebd., S.10.

21 Jura Soyfer: Weltuntergang. In: Horst Jarka (Hrsg.): Szenen und Stücke, a.a.O., S.81.

22 Horst Jarka: Einleitung.In: ders. (Hrsg.): Jura Soyfer. Szenen und Stücke, a.a.O., S.20/21.

 

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