Nr. 3/2000
Zeitschrift (1989–2007)


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Editorial

Dagmar C. G. Lorenz (Chicago)
Literatur und Zivilgesellschaft

Manfried Welan (Wien)
Zivilgesellschaft und Verfassung

Herbert Arlt (Wien)
Zivilgesellschaften und Kulturgesellschaften

Dokumentationsgespräch mit Eva Glawischnig
"... daß Mitbestimmung, Demokratie auch eine der Grundsäulen der österreichischen Gesellschaft sein sollte."

Dokumentationsgespräch mit Emil Brix
"Wege zur Civil Society in Österreich"

Dokumentationsgespräch mit Ferdinand Lacina
"Ob das schon ausreicht, was es bisher an Ansätzen gibt, ist noch offen..."

BERICHTE

BeiträgerInnen dieser Ausgabe / Berichte / Rezensionen

 

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Editorial

Der Schwerpunkt dieses Heftes ist dem Thema "Zivilgesellschaft" gewidmet. Im Rahmen der Beiträge und der Dokumentationsgespräche wird auf sehr unterschiedliche Traditionen und Begriffe verwiesen. Eine Auffassung ist jedoch allen Beiträgen gemein: daß Pluralität, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit von grundlegender Bedeutung für die Charakterisierung und Entwicklung einer Zivilgesellschaft sind.

Ausgangspunkt für die Themenwahl waren Diskussionen zum Begriff Zivilgesellschaft in den letzten Jahren, die mit Entwicklungen in Europa, aber auch anderen Staaten verbunden waren. Dramatisch zugespitzt hat sich die Diskussion nach dem 4. Februar 2000 in Österreich. Vieles von dem, was befürchtet und angekündigt wurde, ist nicht eingetreten bzw. wurde auch von den oppositionellen Kräften nicht umgesetzt (vgl. dazu auch einige Materialien im Buch von Gerald Raunig: "sektor3/kultur", das in dieser Ausgabe rezensiert wird). Andererseits spitzt sich gerade in den Tagen der Herausgabe der Zeitschrift die Lage nochmals deutlich zu. Offen wird die Beugung des bzw. der Bruch mit dem Rechtsstaat(es) im Zusammenhang mit der sogenannten "Spitzelaffäre" gefordert. Mit den "Roten" (sprich: FPÖ-Gegnern) solle endlich aufgeräumt werden. Diejenigen, die seit Jahren Machtpolitik an und für sich verbal praktizieren, fordern nun reale machtpolitische Schritte. Vor diesem Hintergrund erscheint etliches in einem anderen Licht, das in den letzten Monaten in diversen Zeitungen zu lesen war und unmittelbar mit den Möglichkeiten und Grenzen von Zivilgesellschaften verbunden ist. Dazu einige Beispiele, aber auch Aspekte:

  1. Für Egon Matzner (Die Presse, 21.10.2000) sind jene Intellektuellen am negativen Österreich-Bild im Ausland schuld, die sich heute, aber auch in den vergangenen Jahren kritisch zur Rechtspolitik in Österreich (insbesonders in ihrer extremen und in der Vergangenheit auch schon staatsterroristischen Ausprägung) geäußert und diese als aktuelle Bedrohung empfunden haben. Ihre Kritik wird als grundlos dargestellt, obwohl bereits bis im Oktober die nicht gerade geringe Anzahl der Klagen gegen Intellektuelle, die unverblümten Versuche materieller Einschränkungen und sogar Gewaltakte doch andere Schlußfolgerungen zulassen müßten.
  2. Für Robert Menasse ist der Weisen-Bericht, der sich mit der Lage in Österreich auseinandersetzt, ein Nicht-Bericht. Seinem Hang zu "dialektischen" Konstruktionen folgend, sei der "Weisheit letzter Schluß" stets - und so auch in diesem Bericht -: "Es ist, wie es ist!" (Der Standard, 15.9.2000.) Die Kritik vor allem an der FPÖ und insbesonders dem FPÖ-Justizminister, die im Bericht als notwendig erkannten Veränderungen werden damit weggewischt. Denn der Bericht paßt nicht ins Schema jener Veränderung, die sich Menasse durch die Wende als Voraussetzung für eine andere Wende gewünscht hat.
  3. Konrad Paul Liessmann, einer der Wende-Intellektuellen (aber noch nicht wie der Philosoph Burger in diesen Zeiten mit einem Staatspreis geehrt), fordert das Humboldtsche Modell für die österreichischen Universitäten (Der Standard, 14.10. 2000). Fast scheint es so, als ob er in der Ablehnung bisheriger Reformen und in der Befürwortung der Wende auch den autoritären Teil des Humboldtschen Modells, der dem Staat Dominanz über Wissenschaft einräumt, einschließt (heute sind ja sogar Formulierungen wie "Forschung im Regierungsinteresse" öffentlich nachzulesen). Doch auch dies wäre noch keine "bürgerliche Politik" (die Liessmann gegen die jetzige Regierungspolitik ausspielt), sondern eine rechte (staatsautoritäre) Politik, die den Wissenschaften noch nie förderlich gewesen ist.
  4. In einem Gespräch mit Hans Rauscher (Der Standard, 28.10.2000) formuliert Hans Igler, "lange Industrie-Präsident": " [...] es muss jetzt einmal klargestellt werden, dass es drei brauchbare Parteien in Österreich gibt, ÖVP, SPÖ, FPÖ. Das bedeutet: Man muss den Haider vergessen." Zugleich fordert er zum Beispiel die Beseitigung aller Mitbestimmungsstrukturen an den Universitäten. Die Entdemokratisierung und soziale Umverteilung soll also im Konsens kommen (wofür Igler offensichtlich die Grünen als nicht gewinnbar ansieht) - und nicht durch Polarisierung.
  5. Es gab einmal einen Schriftsteller, der formulierte, daß Schriftsteller keine Bittsteller seien. Dies scheint nun im Zusammenhang mit der neuen Regierung nicht mehr zu gelten. Vielmehr haben die BittstellerInnen "bis jetzt schon viel für Kolleginnen und Kollegen erreicht [...], gewiß mehr, als andere unter wesentlich günstigeren budgetären Umständen ausgehandelt haben." (Die Presse, 1.8.2000, S.22.)
  6. Damit kommen wir zu einigen Aspekten: Alle diese Aussagen zeigen, daß es nicht wenigen immer noch nur um Rhetorik geht und alles Rhetorik zu sein scheint. Daß aber eine Rechtspolitik unter Einschluß der FPÖ keine "bürgerliche Politik" im Sinne zum Beispiel großer Ideale aus dem 18. oder 19. Jahrhundert sein kann, wird dabei völlig "vergessen". Alte, reaktionäre Modelle werden recycelt und als moderne Politik ausgegeben. Entsprechende Folgen sind für Österreichs Zukunftsfähigkeit zu erwarten. Der Bruch des Dialogs wird sich nicht "ausgezahlt" haben. Und Andreas Unterberger, einer derjenigen, die die Wende mit herbeigeschrieben haben, titelt nun am 21.10.2000: "Mit Ablaufdatum?" Ein langes Leben dieser Regierung beurteilt der Chefredakteur der Tageszeitung "Die Presse" auch aufgrund der Regierungsdauer anderer "bürgerlich dominierte[r] Regierungen" skeptisch.

Aber wird ein neuerlicher Regierungswechsel eine Stärkung der Zivilgesellschaft ermöglichen? Und welcher? Und unter welchen Voraussetzungen? Auf diese Frage scheint es noch keine schlüssigen Antworten zu geben. Vor allem auch deshalb, weil eine Analyse der Gegenwart bisher in keiner Weise adäquat gefördert wird. Die Anzahl derer aus verschiedenen Bereichen, die eine Politik der Polarisierung, eines autoritären Staates, einer Einschränkung der Öffentlichkeit, einer Entkulturalisierung nicht wünschen und Dialog, Analyse, demokratischere Entscheidungsprozesse öffentlich einfordern, scheint aber zuzunehmen...

       
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