Nr. 03/2000

Hörspieldatenbank des Österreichischen Rundfunks

Dr. Konrad Zobel (Wien)

Welche Hörspiele sind in den nächsten Wochen im ORF geplant?
Sie suchen Informationen über eine frühere Hörspielsendung?

Diese beiden Fragen stehen ganz oben auf der Homepage einer Datenbank, die unter der Adresse www.hoerspiele.co.at dem Hörspiel in Österreich seit 1945 gewidmet ist und Details zu über 13.000 Hörspielsendungen in Österreich seit 1945 enthält.

Anders als in den internen ORF-Archivsystemen, die Details nur zu den noch vorhandenen ORF-Produktionen enthalten (und auch dies nur unvollständig), findet man hier auch Angaben über die große Zahl nicht mehr erhaltener Hörspiele (über 3.000) sowie über alle Wiederholungen und Übernahmen von ausländischen Sendern. Bei den erfaßten rund 13.000 Sendungen (Stand: Jahresende 2000) handelt es sich um mehr als 7.500 Neuproduktionen (NP), über 4.000 Wiederholungen (WH) und fast 1.500 Übernahmen (Ü). Bei den österreichischen Produktionen wurden - jeweils bei der Erstsendung (NP) - nach Möglichkeit die näheren Angaben zu Inhalt, Besetzung, Regie, Technik, Sendelänge etc. angeführt; ab September 2000 geschieht dies auch bei den Wiederholungen und Übernahmen. So gibt es derzeit über 4300 Inhaltsangaben, über 4600 Besetzungslisten, über 6300 Angaben zur Regie etc.

Die Datenbank erlaubt Abfragen in verschiedenen Suchfeldern sowie eine Volltextsuche.

Die Auswertung der über alle Landesstudios verstreuten und oft unvollständigen Unterlagen entwickelte sich zu einer jahrelangen Detektivarbeit und bedurfte der Assistenz zahlreicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Angesichts der für die frühen Jahre sehr mangelhaften Quellenlage wurden auch die nicht immer verläßlichen Programmankündigungen in Zeitungen und Zeitschriften berücksichtigt. Trotz mancher Unklarheiten entstand so die umfangreichste Dokumentation des Hörspielgeschehens in Österreich, die inzwischen nicht nur der wissenschaftlichen Forschung eine gute Grundlage gibt, sondern auch interessierten Hörerinnen und Hörern Auskunft über die aktuellen und geplanten Hörspielsendungen des ORF gibt. Während die Datenbank ursprünglich nur im Access-Format vorlag, ist es der Intervention und Unterstützung von Dr. Herbert Arlt und seinem Wiener "Institut zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse" zu danken, daß diese Datenbank über Internet auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte. Als Leiter der ORF-Abteilung "Literatur & Hörspiel" möchte ich an dieser Stelle Dr. Arlt für die nun schon einige Jahre andauernde und immer intensiver werdende Zusammenarbeit danken.

Eine erste, durch die Informationen dieser Datenbank möglich gewordene Analyse zeigt, daß der Anteil der Neuproduktionen am gesamten Hörspiel-Sendevolumen im Gesamtdurchschnitt rund 60% beträgt, jedoch im Lauf der Jahre stetig sinkt. Absolut gesehen ist die Produktionstätigkeit - auf Grund der noch zu erläuternden Studio-Struktur bzw. von Live-Sendungen - im ersten Jahrzehnt (1945-1954) am höchsten, bleibt dann drei Jahrzehnte lang (1955-1984) relativ stabil bei mehr als der Hälfte des Volumens des ersten Jahrzehnts und wird im fünften Jahrzehnt (1985-1994) - insbesondere durch den Rückgang der Produktion in den Landesstudios - neuerlich fast halbiert, erreicht also kaum ein Drittel des Neuproduktionsvolumens des ersten Jahrzehnts. Gleichzeitig steigt der Anteil der Wiederholungen, stärker noch jener der Übernahmen von Hörspielen aus dem deutschsprachigen Ausland. Mit letzteren steigen auch die internationalen Vergleichsmöglichkeiten für das Publikum (insbesondere seit Mitte der Achtziger Jahre).

Ein Indiz für Qualitätssteigerung ist die starke Zunahme von Übernahmen österreichischer Hörspiele durch deutsche und Schweizer Sender. Auch hat die Rolle des Österreichischen Rundfunks als Coproduktionspartner im letzten Jahrzehnt eine starke Aufwertung erfahren: 1985-1994 ist der Anteil der Coproduktionen am Produktionsvolumen mehr als vier mal so hoch als 1975-1984.

Deutliche Verschiebungen gibt es in Bezug auf die berücksichtigten AutorInnen. In den 90-er Jahren spielen nur mehr wenige Autorinnen und Autoren eine große Rolle, die in den früheren Jahrzehnten führend waren. Auch nimmt nun der Anteil an Hörspielsendungen von weiblichen Autoren zu. Außerdem zeigt sich schon seit den 80-er Jahren eine zunehmend deutliche Bevorzugung der zeitgenössischen Literatur. Von den 20 in den ersten 50 Jahren meistgesendeten AutorInnen sind nur 5 ZeitgenossInnen. Seit Mitte der 80-er Jahre macht die zeitgenössiche Literatur jedoch etwa 90 % aus. Mit dem gleichem statistischen Ergebnis ebenso deutlich ist die zunehmende Bevorzugung von AutorInnen von Originalhörspielen, also die Emanzipation vom Theatertext hin zur medienspezifischen radiophonen Literatur (siehe auch die Liste der meistgesendeten AutorInnen).

In diesem Zusammenhang ist zu betonen, daß die 1987 neugeschaffene Sendereihe KUNSTRADIO-RADIOKUNST den Bereich der radiophonen Kunst in Österreich radikal ausgeweitet hat: Geräusch- und Klangwerke, sowie künstlerische Reflektionen der medialen Vorgaben des Radios durch bildende Künstler und Musiker etablieren das Radiokunstwerk auch jenseits literarischer Vorlagen und entwickeln mit sogenannten telematischen Arbeiten eine Vernetzung verschiedenster medialer Ebenen. Solche und ähnliche Produktionen sorgen für eine offene Entwicklung des Radios als Kunstfaktor. Sie konnten jedoch in der Regel, obwohl "hörspielverwandt", auf Grund der unterschiedlichen formalen, inhaltlichen und organisatorischen Voraussetzungen nicht in diese Dokumentation aufgenommen werden. Nähere Informationen über diesen Bereich der Radiokunst liefert die homepage des KUNSTRADIOS mit der Adresse www.thing.at/orfkunstradio.

Aus methodischen Gründen wurden auch andere Hörspiele in dieser Datenbank nur in Ausnahmefällen erfaßt; das betrifft:

Der Übersichtlichkeit halber wurde in dieser Dokumentation eine z. T. anachronistische Terminologie verwendet: die Bezeichnung aller österreichischen Rundfunkstudios (außer der Rot-Weiß-Rot-Studios) wird nämlich mit dem erst seit 1967 verwendeten Kürzel "ORF" eingeleitet. Daher an dieser Stelle ein kurzer historischer Exkurs:

1945 formieren sich in den vier Besatzungszonen eigenständige Sendergruppen:

1955 stellt "Rot-Weiß-Rot" den Betrieb ein (letzte Sendung: 26.7.55), alle Sender werden zum unabhängigen "Österreichischen Rundfunk" zusammengefaßt, mit Studios in Wien, Salzburg, Linz (Oberösterreich), Graz (Steiermark), Klagenfurt (Kärnten), Innsbruck (Tirol) und Dornbirn (Vorarlberg). 1967 kommen als Folge der großen Rundfunkreform die Landesstudios Niederösterreich und Burgenland dazu. Als sogenannte "Normstudios" sind alle bis in die 90-er Jahre mit einer Literatur & Hörspielabteilung ausgestattet.

Mitte der 80-er Jahre etabliert sich die bis dahin vorwiegend nur koordinierende Literatur- und Hörspielabteilung der Hörfunkintendanz auch als produzierende Redaktion und übernimmt Anfang der 90-er Jahre die gesamte Hörspielproduktion im Funkhaus Wien, da das Wiener Landesstudio dem dann auch auf die anderen Landesstudios übergreifenden Trend zum sogenannten "Flächenradio" folgt. Die einzelnen "Sparten"-Abteilungen werden gebündelt oder aufgelöst. So macht sich im Hörspielbereich ein rapider Konzentrationsprozeß bemerkbar: einige Studios stellen die Hörspielproduktion völlig ein, andere werden sogenannte Hörspiel-"Schwerpunktstudios" (Salzburg und Graz von 1992 bis 2000, Innsbruck seit 2000). Die von den Landesstudios autonom organisierte Hörspielproduktion für das Programm Österreich Regional wird stark eingeschränkt, 1999 kommt es in diesem Programm auch zu einer Reduzierung der einschlägigen Sendetermine um mehr als die Hälfte. Die im Auftrag der Redaktion "Literatur & Hörspiel" der Hörfunkintendanz organisierte Hörspielproduktion für das Kulturprogramm "Österreich 1" bleibt seit Ende der 80-er Jahre stabil und wird heute vorwiegend im Funkhaus Wien durchgeführt.

 

Nr. 03/2000

Webmaster: Peter Horn    |    last change 2.1.2001